Praxisanregung: Theodizee mit Videoclips thematisieren im Religionsunterricht

VideoarbeitYoutube: authentische Musikvideoclips im RU nutzen?

YouTube als Initiator einer gelungenen Unterrichtseinheit wird gerade heute sehr stark unterschätzt. Einerseits stellen Gesetze und Gerichtsurteile, sowie eine aufwendige Recherche einen nicht unerheblichen Arbeitsaufwand gegenüber den Printmedien dar, andererseits gilt grade bei YouTube Klafkis Frage nach der Lebenswirklichkeit des Schülers: Das Interesse der Lerngruppe ist eben nicht mehr in Lehrfilmen und Klassikern der Musik zu finden (z.B. Cranberries One of Us), sondern in zeitgenössischer Musik mit Videountermalung.

Diese sind besonders dann wertvoll, wenn sie als sog. Fan-Art (Fankunst) gestaltet wurden, da diese besonders gut ausdrückt, was der junge Mensch von heute mit der Musik verbindet. In meinem Artikel werde ich einerseits auf den Videoclip von Spin eingehen, er soll eine sehr schöne und gelungene Synthese aus problemorientierten Unterrichteinsstieg als Impuls und gute Möglichkeit zur Weiternutzung des Impulses in einer Unterrichtsreihe dienen.  Spin dient dabei als Impuls der Oberstufeneinheit Theodizee – Gott und Freiheit.

Als zweiter Clip soll Deine Schuld von der deutschen Punkband die Ärzte vorgestellt werden.

Zum Schluss will ich auf weitere Nutzung der Plattform YouTube aufmerksam machen – dabei soll vor allem das Arbeiten mit Musik der heutigen modernen Szene (Punk und Metallmusik) im Mittelpunkt stehen, da sich gerade deren Musiktexte interessant in den Religionsunterricht einsetzen lassen und  zeigen, dass auch harte Musik und religiöse Inhalte sich nicht ausschließen.

Unterrichtseinheit. Theodize nach Ijob mit Videoclips

Die Unterrichtseinheit zum Thema Theodizee und Freiheit soll thematisch drei Blöcke umfassen: Das Buch Ijob mit seinem Leitthema nach der Frage Warum der Mensch leidet und dreier moderner Lösungsansätze: dem Theodizeemodell der Free – Will – Defense nach Swinburn und der klassischen Ansätze, Modifikation der Eigenschaft Gottes, Bonisierung und Depotenzierung und Pädagogisierung von Leid.

Als erster Impuls soll Hab. 1, 2 -4 über einen Beamer / OHP an der Wand stehen:

„Wie lange, Herr, soll ich noch rufen, / Und du hörst nicht?

Ich schreie zu dir: Hilfe, Gewalt! / Aber du hilfst nicht.

Warum lässt du mich die Macht des Bösen erleben / und siehst der Unterdrückung zu?

Wohin ich blicke, sehe ich Gewalt und Misshandlung, / erhebt sich Zwietracht und Streit.“

Außerdem soll ein Bild vom Krieg in Afrika mittels OHP / Beamer, die Auswirkungen eines Tsunamis und das eines trauernden Jugendlichen auf die andere Wand geworfen werden:

Stumme Impulse: Kindersoldaten in Afrika[1] und ein Teenager[2] in seiner schwersten Zeit als Einstieg.

Alternativ zum OHP oder Beamer können die Bilder auch als Poster ausgedruckt an die Wand gehängt werden. Wünschenswert ist die Zurschaustellung der Bilder auf allen 3 Wänden des Klassenraumes, sodass den SuS vermittelt wird, im Zentrum zu stehen, umgeben vom Leid der Welt.

Tsunami in Japan als Beispiel für natürliches Übel in der Welt.[3]

Die SuS sollen in einem kurzen Blitzlicht ein kleines Statement zum Thema „Leid in der Welt“ abgeben. Das Kind mit der Waffe soll das Plenum an das Leiden ganzer Völker aufmerksam machen, der weinende Teenager soll sie aber auch dazu anregen, über das Leiden von Menschen in Wohlstandsnationen und eigenes Leiden zu reflektieren.

Als Nächstes sollen die SuS im Plenum eine Mindmap  zum Thema Leiden erstellen, sie soll anschließend in die verschiedenen Arten des Leidens (menschlich verursachtes Übel und natürliches Übel) unterteilt werden, dabei sollen die SuS die Kategorisierung intern herausarbeiten, im Bedarfsfall kann der Lehrer durch gezielte Impulse (Frage nach der Ursache von Tsunamis und Kriegen) die Schüler auf den richtigen Weg schicken.

Nun werden anhand geeigneter Texte die klassischen Lösungsansätze der Theodizee erarbeitet:

  • Pädagogisierung des Leids (Lernen durch Leiden),
  • Bonisierung des Leids und Depotenzierung des Leids (Verharmlosen des Leidens).

Die SuS sollen daraufhin, vor allem unter Berücksichtigung des Leidens in Auschwitz, die gravierenden Mängel der klassischen Modelle ausarbeiten.

Als Nächstes soll Swinburnes Free Will Defense erarbeitet werden, die SuS sollen dabei erkennen, dass Swinburnes Prämisse Freiheit als Geschenk Gottes ein zweischneidiges Schwert ist: Der Mensch kann sich zum moralisch Guten  entscheiden, aber er kann auch das Böse wählen. Liebe und Freiheit zeigt sich demnach auch in der Möglichkeit zur Abkehr Gottes. In der nächsten Einheit soll dann die Frage erörtert werden: Was würdest du tun, wenn du Gott wärst? (Kann unterlegt werden mit einem Bild von Bruce Allmächtig.) Logischerweise sollte bei der Erörterung der Frage als Ergebnis der SuS herauskommen, dass jeder das Leid der Welt tilgen würde.

Jetzt ist der Zeitpunkt, um den mehrfach prämierten, auf Dialoge verzichtenden Kurzfilm „Spin“ vom Regisseur Jamin Winans  zu verwenden:

  • Bei 2:04 Minuten wird der Spot kurz unterbrochen und durch kleine Wortmeldungen sollen die SuS kurz darstellen, was sie gesehen haben: Einen DJ, der einen Unfall beobachtet und die Zeit nochmals zurückdreht, um sich den Unfall und dessen Ursachen genau anzusehen. Die SuS sollen sich spontan überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, den Unfall ungeschehen zu machen.
  • Anschließend wird das Video fortgesetzt bis Minute 2:30. Auch hier wird eine kurze Umfrage gestellt: Ist das Problem endgültig gelöst? Der Film wird bis zum Ende gesehen. Die SuS sollen darauf kommen, dass der Ball so gesehen nicht aus der Welt ist, und jede Aktion eine Reaktion zur Folge hat und dass in einer komplexen Welt die Lösung eines Problems die Ursache für ein neues Problem sein kann und dass das genaueste Wahrnehmen der Umwelt einem nicht immer alle Probleme vor Augen führt.  Auch sollen die SuS darauf aufmerksam gemacht werden, dass der DJ nicht jedes Problem löst, so verkauft der Dealer trotzdem seine Drogen an den Junkie, auch wenn er danach das Dealen aufgibt, indem er das Geld verschenkt.
  • Besonders wichtig ist die Szene zu Beginn von Minute 7: Das Kind verliert seine Puppe, der DJ dreht sich um und geht – er verschließt seine Augen dem kleinen Leiden zugunsten der großen Übel und ist damit dem Kind gegenüber nicht barmherzig. Erst im letzten Augenblick erkennt er, dass das kleinste Übel im Auge der Menschheit für einen Menschen schon die Zerstörung seines Glückes ist.  Außerdem rennt der DJ anschließend weg, er kann kaum ertragen das evtl. kommende Leiden weiter zu betrachte.

Das gesamte Video sollte nach dem Durchlauf im Anschluss unter Fokussierung auf die  Free Will Defense nochmals diskutiert werden. Mögliche Fragestellungen, welche von den SUS vertieft werden könnten, wären u.a.:

  • Inwiefern verletzt das Video den freien Willen?
  • Warum entspricht das Video nicht unserem Gottesverständnis? Die SuS sollen erkennen, dass die Welt keine deistische ist, eine Schallplatte, die Gott angeworfen hat und die dann einfach weiterläuft. Vielmehr soll das Video zeigen, dass der Mensch immer eine Möglichkeit hat sich zu Gott zu bekennen und das aus seinen guten Taten andere Menschen inspiriert werden können, auch Gutes zu tun (Tänzer, Rentner und ihr Effekt auf den Dealer). Weiterhin soll das Video den SuS gegenüber scheinbar kleinem Leiden sensibilisieren, sie sollen erkennen, dass auch dieses zu großen Schmerz führt. Als Abschlussreflexion sollen die SuS über das Dilemma eines Menschen nachdenken, der von 2   anderen geliebt wird und die er beide gerne mag. Egal wie er sich entscheidet, einer wird immer leiden.

Als Abschluss der Unterrichtseinheit soll der Clip „Deine Schuld“ von den Ärzten gezeigt werden: Er soll den SuS abschließend nochmals vor Augen führen, dass das Leid in der Welt nicht erst in Afrika anfängt, sondern schon in der eigenen Lebenswelt und dass jeder einzelne etwas dagegen unternehmen kann.

Jetzt wird auch nochmal auf die Anordnung im Klassenraum aufmerksam gemacht: an allen Wänden hängen Bilder des Leidens, doch mittendrin auch (hoffentlich 😉 ) das Kreuz mit Jesu Christus, der in seiner bekannten Symbolik für die Hoffnung im Leiden steht.

Videoclips  im Reli-Unterricht nutzen  – ein gelungener Ansatz?

Gerade heute ist die Randgruppenmusik wie Metall und Punk besonders beliebt geworden,  was sich in den Charts und anhand der Besucherzahlen bei Festivals wie Rock am Ring und Wacken Open Air niederschlägt. Obwohl Metall und Punk nicht bekannt sind für ihre religiösen Texte, lassen sich ihre Lieder doch sehr gut in den RU einbauen. Sie dienen der Kontrastierung von biblischen Texten,  sie können aber auch genutzt werden, um als Religionskritik verstanden zu werden. Einige Bands (wie z.B. As i lay Dying[4]) verstehen sich auch nicht als klischeehafte anti – Christ – Metalband, sondern stellen in ihrer Musik ihr Verständnis von Religion dar. Songtexte wie „For the greater Good“ of God von Iron Maiden eignen sich darüber hinaus auch über den Umgang von Religionen miteinander und dem  Missbrauch von Religionen zu reden. Der neuere Punkrock Bewegung hinterfragt auch immer mehr aktuelle Themen, vor allem bezüglich Umweltschutz und Atomkraft („Super-GAU“ von Massendefekt, „Deine Schuld“ von den Ärzten). Auch diese lassen sich im Sinne Klafkis immer wieder im Unterricht verwenden. Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, Intentionen der Bands zu berücksichtigen, eine adäquate Kontrastmeinung muss den SuS dann auch zugänglich gemacht werden.

Von der GEMA und Konsorten: technische und rechtliche Hürden

Obwohl schon von vielen Studenten und Lehrern gezeigt wurde, dass YouTube und andere Streams durchaus SuS zum Lernen befähigen können und Lehrern wie Schülern eine sehr gute Plattform zu Entwicklung von Unterricht und der eigenen Persönlichkeit verhelfen, gibt es dennoch immer wieder Hürden, die vonseiten bestimmter Institutionen immer noch nicht entfernt wurden. Im Speziellen geht es natürlich um die GEMA, die die Urheberrechte aller großen Musikinterpreten vertritt und durch deren Einwirken es zu massiven Sperrungen auf YouTube und anderen Streamplattformen gibt.

Was diese als Verteidigung der Rechte der Interpreten ansehen (GEMA), sehen Interpreten und Musikgesellschaften als Rückschritt einer modernen Gesellschaft im Umgang mit Medien[5] . Fest steht, dass sich an unserer gesellschaftlichen Haltung gegenüber dem Internet einiges ändern muss – und zwar auf beiden Seiten: Gruppierungen wie Anonymous, die durch gezielte „GEMA – Bashing“[6] auf Boards wie Gully und bei Heise.de geradezu gelobt werden für ihre illegalen Machenschaften[7], müssen von solchen Aktionen absehen, damit die Gesellschaft Vertrauen in das Internet und seinen Nutzen setzen kann. Auf der anderen Seite muss die Gesellschaft, vor allem die GEMA, auch sehen, dass das Internet nicht nur eine Plattform für Spaß bietet, sondern auch bei der Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen durch Social Networks und zur Bildung durch geschicktes Nutzen von Videos, nützlich sein kann. Rechte der Interpreten müssen geschützt werden, aber die Frage, die wir uns stellen müssen (auch als Interpreten): Wie wird unsere Kunst rezipiert? Was verbindet der Mensch mit meiner Kunst? Und: Was bringt einem die schönste Kunst, wenn der künstlerische Umgang damit verboten wird? Vielleicht sieht Industrie wie Künstler irgendwann auch mal ein, dass der künstlerische Umgang mit dem eigenen Werk einen selbst auch zu Neuem inspirieren kann.

 Gastautor: Uwe Hirsch


[1] http://homepages.wmich.edu/~acareywe/images/childsoldiers.jpg

[2] http://i582.photobucket.com/albums/ss266/eparetad/crying-teen-girl.jpg

[3] http://d1.stern.de/bilder/stern_5/panorama/2011/KW10/tsunami_japan/tsunami_japan_16_maxsize_735_490.jpg

[5] „Deutschland ist im digitalen Musikmarkt ein Entwicklungsland – und ein wesentlicher Grund dafür ist die Haltung der Gema.“ Berger, Chef von Sony – Music auf Spiegel.de

[7] http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,769347,00.html

Weiterführende Links und Materialien:

4 Kommentare zu “Praxisanregung: Theodizee mit Videoclips thematisieren im Religionsunterricht”

  1. Liebe Leser,
    Bald wird dieser Artikel von mir neu aufgelegt, er wird zudem einem Praxistest am Erftgymnasium Bergheim erprobt. Die Updates werden vor allem Korrekturen bei den Fragestellungen und Technik bzw. Sozialform wird überarbeitet. Eine konkrete Unterrichtsplanung (mit phasenunterteilung etc.) wird nach dem Erstellen meines Praktikumsbericht nachgereicht. Ich bitte um konkrete Verbesserungsvorschläge und Kritik! Vielen Dank für euer Feedback!

  2. Hallo,

    das ist ein gelungener Einstieg, ich bin gespannt. Ich war vor ein Paar Wochen schon mal hier und bin bei einer Recherche erneut hier vorbeigekommen. Dabei ist mir aufgefallen, dass das eine Bild inzwischen „verschwunden“ ist.
    Viele Grüße,
    Ute

  3. Music Clips sind ja heute gemeinhin als (potentielle) Kunstform anerkannt, also kann eigentlich keiner mehr etwas dagegen sagen. Und im speziellen Fall sind solche Clips ein super weg, um die Kids dort abzuholen, wo sie sind und einen Diskussionseinstieg zu finden. Daumen ganz weit hoch!

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